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Deutschland
- ein Sommermärchen
Oktober
2006
Wahnsinn! Kaum ist der Film am Start, packt mich - im normalen Leben Fußballhasserin
- wieder die WM-Faszination. Gemeinsam mit einer Handvoll Leute sitze ich
am frühen Abend in der ersten Vorstellung, die in Braunschweig gezeigt
wird.
Unsere Jungs! Süß sind sie, vor allem die ganz Jungen! Man bekam sie ja
im Sommer hauptsächlich als harte Kämpfer auf dem Platz präsentiert.
Aber wenn sie privat gezeigt werden, wie sie auf den Betten ihres
Hotelzimmers liegen, sich gegenseitig die Ellenbogen in die Rippen buffen
und sich scherzhaft anfrotzeln, wenn sie ihr jungenhaftes Lächeln zeigen
oder sich genieren, im Beisein eines Aufpassers oder der Kamera ihre
Urinprobe abzugeben - süß!
Der Film ist - und das ist das Überraschende - in erster Linie eines:
witzig! Dazu tragen nicht nur die bisweilen die Geschmacksgrenze
touchierenden Klinsi-Sprüche während der Kabinenansprachen bei
("Wir werden das Ding NICHT verlieren. Schon gar nicht gegen
Polen!"), sondern auch jede Menge Situationskomik. Angie Merkel
besucht das Team in der Grunewalder Villa, die Jungs sitzen alle ganz
artig wie in der Schule in ihren Stuhlreihen, sie steht vor ihnen und hält
irgendeine Ansprache, da geht die Tür auf, Frings kommt verspätet
reingeschlurft, steuert auf sie zu, gibt ihr die Hand, sagt "Nabend"
und setzt sich.
Oder die Fahrten im Mannschaftsbus durch die Nation: Am Straßenrand steht
ein kleiner Polizei-Bus, etwa sechs bis acht Polizisten stehen in Uniform
neben ihrem Fahrzeug und machen die La Ola-Welle, während der WM-Bus
vorbeifährt.
Als ausgesprochen unglaubwürdig empfinde ich die Kabinenansprachen
Klinsmanns. Er wirkt auf mich wie jemand, der einen Baseball-Trainer in
einem dieser amerikanischen Spielfilme nachäfft, es aber nicht
hinbekommt. Er vermittelt den Eindruck, als ringe er stets nach Worten.
Und die kommen nur sehr zäh heraus. Der schwäbische Dialekt und die hohe
Stimme machen die Sache nicht gerade besser. Und entsetzlich nervend ist
das wie in einer Endlosschleife immer wieder eingespielte Stück von
diesem Xavier Nadou.
Der Film hat - das liegt in der Natur der Sache beziehungsweise am Verlauf
der WM - einen Spannungsbogen, der den Zuschauer noch einmal dazu bringt,
die Daumen zu drücken und packende Szenen erneut mit Applaus zu bedenken.
Zumal der Film voll ist von herrlichen fußballerischen Szenen! Es ist ein
bisschen wie mit der Titanic: Man hofft, dass es diesmal doch gut ausgeht.
Geht es aber nicht. Zunächst jedenfalls.
Im Anschluss an das Italien-Spiel, dessen zwei Tore in quälender Zeitlupe
mit entsprechend getragener Musikuntermalung gezeigt werden, könnte man
eine Stecknadel auf den Boden der Kabine fallen hören. Alle sitzen mit
gesenkten Häuptern auf den Bänken. Tränen, Trauer, Verzweiflung.
Schweigen. Zu meiner Linken zückt ein Kinobesucher ein Taschentuch,
lautes Schnäuzen ist zu vernehmen.
Aber das Leben geht weiter. Am nächsten Tag planen die Spieler ihren
Abschied von den Fans und überlegen, ob es sich lohnt, dafür nochmal
extra groß nach Berlin zu fahren. Es ist zu spüren, dass sie nicht
ermessen, was in Berlin auf sie zukommt. Angesichts dieser
Ahnungslosigkeit ist der Zuschauer voller gerührter Vorfreude, weil er
bereits weiß, wie die Sache ausgehen wird. Nun schnäuzt mein Sitznachbar
zu meiner Rechten.
Die Bilder der Feier am Brandenburger Tor kennen wir, und sie strahlen
noch einmal etwas unheimlich Versöhnliches aus - leider aber auch Xavier
Nadou.
Nachdem wir alle zu guter Letzt doch noch irgendwie Weltmeister geworden
sind, gehen wir glücklich und mit einem blöden Lächeln im Gesicht aus
dem Kino.
Wo genau habe ich eigentlich nochmal diese Flaggen hingepackt ....
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