Schwer bepackt mit Einkaufstüten
komme ich an unserem Museum für
Photographie vorbei. Es läuft gerade die Ausstellung
"Haare" mit Bildern von Tamara Grcic aus New
York. Draußen spricht mich ein junges Mädel an:
"Haben Sie Lust, ins Museum zu kommen und Fotos anzusehen? Es
passiert dann auch etwas!" Okay, warum nicht. Endlich passiert
mal was.
Drinnen werde ich
von einem jungen Mann mit Inge-Meysel-Perücke nett empfangen und
vor die Alternative gestellt: Kaffee trinken oder Fotos ansehen.
Ich entscheide mich für die Fotos.
In einem kleinen
Raum sind an einer Wand 57 farbige Fotografien von
haarigen Hinterköpfen ausgestellt. Die einzelnen alle gleich großen Bilder
sind für mein Empfinden nicht besonders aussagekräftig, stellen aber
in der Gesamtheit durch die strenge graphische Zuordnung zueinander
ein interessantes, optisch ansprechendes Gesamtkunstwerk
dar.
Im Nebenraum
unterhalten sich Inge Meysel und eine weitere männliche
Person auf englisch.
Inge Meysel:
"Wollen wir eine weitere Aufnahme machen?"
Der Andere: "Mit der Lady nebenan?"
Inge Meysel: "Yes."
Ich gehe in
den Nebenraum und finde Inge Meysel in gleißendem Scheinwerferlicht
stehend vor, wie er auf englisch in eine Kamera spricht. Als ich dazu
komme, verwickelt er mich in ein philosophisches Gespräch. Über mir
schwebt plötzlich ein Galgen mit einem riesigen Mikrophon. Inge
Meysel dreht mir vor laufender Kamera den Rücken zu, zeigt auf seine rechte
Schulter und fragt mich: "Was sagt dieser Bereich über meine Gefühle
aus?"
Mir wird heiß,
was nicht nur an dem zu dicken Wintermantel und dem Schal liegen dürfte. Ich
stelle meine Einkaufsstüten ab, um Zeit zu gewinnen, und suche
fieberhaft nach einer interessanten Antwort - und nach englischen Vokabeln.
Dann dreht er sich
wieder um und schlägt mir als nächstes einen frei-assoziativen
Austausch über die haarigen Fotos im Nachbarraum vor. Schweiß
tritt auf meine Stirn. Ich öffne meinen Mantel und wickele meinen
Schal ab. Er hat auch schon eine Idee, wie wir vorgehen werden: Er fängt
an, und dann darf ich. Und erzählt:
"Als ich
neulich nachts nicht schlafen konnte und an diese Ausstellung dachte,
bekam ich Hunger. Ich stand auf, ging an den Kühlschrank und
schmierte mir ein Brot. Als ich die Margarine auf das Brot schmierte,
sah ich plötzlich ein langes Haar in der Margarine auf meinem
Brot. Ich aß das Brot und spürte, wie das Haar langsam durch meinen
Hals wanderte. Seitdem kann ich kein Brot mehr essen, ohne an dieses
Haar zu denken."
Ich nun wohl auch
nicht mehr.
Zum Abschluss
bekomme ich noch einen Kaffee, eine Haarkur und ein Haargummi
sowie eine Einladung für nächsten Donnerstag, wenn die Künstlerin
herself anwesend sein wird. ("A very interesting person!")
Auf dem
Nachhauseweg grübele ich darüber nach, was ich noch alles hätte
antworten können, und wie ich mich besser auf englisch hätte ausdrücken
können. Außerdem meine ich inzwischen, Ende der 90er Jahre schon
einmal etwas über diese Haarfotographien gelesen und die Künstlerin
in einer Talk-Show gesehen zu haben.
Im Internet
erfahre ich, dass das Ganze ein Projekt unserer Kunsthochschule ist:
Eine besondere Form der Kunstvermittlung, die den Besucher auf die Bühne
des Ausstellungsraumes bringen soll.
Kunst kann
nachhaltig sein! Es ist zuweilen nur eine Frage der Präsentation.
Mal sehen,
vielleicht gehe ich nächsten Donnerstag sogar hin.