Die
Feuchtgebiete finden zunächst in meinen gefütterten Winterstiefeln
statt: Das Zelt ist knallvoll, die Luft stickig, das Gastronomie-Personal
vollkommen überfordert. Ich quetsche mich schweißgebadet auf einen der
letzten freien Stühle - weit weg von der Bühne, aber immerhin mit freier
Sicht. An ein kühles Feuchtgebiet in einem Glas vor mir auf dem Tisch ist
in diesem Gedränge nicht zu denken.
Jemand greift zum Mikrophon und kündigt Charlotte
Roche mit einem launigen Kalauer an: "Herzlich willkommen hier auf
dem Eiermarkt - das passt ja!" Bei der Lektüre habe er gedacht, dass
er offenbar sehr konservativ sei, gegen Ende des Buches aber auch: "Das
ist doch gar nicht so schlecht, dass ich so konservativ bin!"
Charlotte Roche kommt ohne Umschweife zur Sache:
"Mein Roman spielt di
e
ganze Zeit im Krankenhaus, und die ganze Zeit zwischen den Beinen einer
Frau."
Dann beginnt sie zu lesen: "Solange ich denken
kann, habe ich Hämorrhoiden." Unterbricht sich selbst gleich nach
ihrem ersten Satz: "Über diesen Satz habe ich sehr, sehr lange
nachgedacht!" Sofort wird klar: Sie ist ausgesprochen begeistert von
ihrem eigenen Werk.
Schlau: Sie liest den Anfang des Buches vor. Der ist
auch der
stärkste, weil witzigste Teil des Romans. Eine Frau im Publikum quietscht
auf vor Vergnügen. Roche: "Ist sie etwa jetzt schon gekommen?"
Das wiederum ist Futter für einen rotgesichtigen,
glatzköpfigen Kerl, der vor einem halben Liter Bier hockt und vor
Gröhlen zu platzen droht. Dieser Vorfall regt Roche zu einem kleinen
Exkurs an, der mit dem Satz endet: "Auch solche Leute zieht man mit
so einer Lesung an."
Diese Frau hat wirklich Charme, und den setzt sie
gezielt ein, als sie sich langsam zu den ekligeren und unappetitlicheren
Stellen ihres Bu
ches
vorarbeitet. Und ihr Charme zeigt Wirkung: Plötzlich finde ich die
widerlich-unhygienischen Stellen gar nicht mehr derart abstoßend wie bei
der Lektüre in meinem stillen Kämmerlein. Es gibt noch viel Ekligeres,
zum Beispiel diesen notgeilen Lachsack am Nachbartisch.
Aber auch im restlichen Zelt ist die Stimmung
gehoben. Viel Gelächter, manchmal Zwischenapplaus.
Charlotte Roche liest mittlerweile über
Muschiflora, -geschmack und -geruch. "Mein Ziel ist es, dass es
leicht und betörend aus der Hose riecht - auch aus Jeans oder dicken
Skihosen." Als sie vorträgt, dass ihre Romanheldin sehr gern mit
ihrer Muschi über die Toiletten von Autobahnraststätten wischt, tobt das
Zelt. Der Lac
hsack
nimmt eine violette Gesichtsfarbe an, brüllt vor Lachen, schlägt mit der
einen Hand rhythmisch auf den Tisch und winkt mit dem anderen Arm den
Kellner herbei. Mehr Bier!
Roche: "Ist das noch Lachen, oder weinen Sie?"
Als die Autorin erzählt, wie ihre Protagonistin in
der Badewanne durch das alleinige Hochsteigenlassen von Furzblasen zum
Orgasmus kommt, gibt es für meinen Nachbarn kein Halten mehr. Er erleidet
offenbar gerade ei
nen
Infarkt. Mit letzter Kraft klammert er sich an einem der Zeltpfosten fest,
und es sieht so aus, als werde er uns alle mit in den Abgrund reißen.
"Eine wirklich dreckige Lache!", kommentiert Charlotte Roche.
Dass nach Einläuten der Fragestunde sich erstmal
keiner traut, kennt sie schon: Manche Leute hätten einfach Angst vor ihr.
Ein Mann habe ihr erzählt, dass er befürchte, sie würde sagen: "Hey!
Du kommst jetzt mal hier auf die Bühne! Und dann zeigst du mir, wie du
masturbierst!" Und dass man sich daher doch besser im Hintergrund
halte.
Auch hier im Zelt bleibt es zunächst still. Dann
meldet sich aber eine Anästhesis
tin,
die ihren Berufsstand im Roman unvorteilhaft dargestellt sieht. Und jemand
möchte wissen, wann das Buch verfilmt wird. Roche: "Was für ein
Film sollte das sein? Da würde doch jeder Kinozuschauer über seine
eigene Erektion kotzen." Auf die Frage, wann das Buch ins Englische
übersetzt werde, antwortet sie: "Demnächst. Aber fast alle anderen
europäischen Länder haben auch schon angefragt. Und im Taiwan kann man
das Buch auch schon kaufen. Aber erst, wenn man 18 ist."
Wer ihre Bücher kauft, darüber gebe es leider
keine Erhebungen. Aber ein Buchhändler ihres Vertrauens habe mal heimlich
eine Strichliste geführt und sei zu folgendem Ergebnis gelangt: "70
Prozent Studentinnen, 30 Prozent sehr alte Männe
r."
Apropos 70 Prozent. Irgendwann traut sich endlich
auch einer, die Gretchenfrage zu stellen: "Der Spiegel schreibt, 70
Prozent seien autobiographisch, stimmt das?"
Roche: "Ich habe mir dieses sexuelle Gedöns
ausgedacht, und was meine Protagonistin da macht, ist noch mal zehnmal
krasser als meine Phantasie. Das sind Themen, mit denen ich selbst eher
verklemmt bin. Es handelt sich doch lediglich um eine geistesgestörte
Hämorrhoiden-Wichs-Orgie."