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Charlotte Roche: "Feuchtgebiete"
April 2008, Braunschweig

Die Feuchtgebiete finden zunächst in meinen gefütterten Winterstiefeln statt: Das Zelt ist knallvoll, die Luft stickig, das Gastronomie-Personal vollkommen überfordert. Ich quetsche mich schweißgebadet auf einen der letzten freien Stühle - weit weg von der Bühne, aber immerhin mit freier Sicht. An ein kühles Feuchtgebiet in einem Glas vor mir auf dem Tisch ist in diesem Gedränge nicht zu denken.

Jemand greift zum Mikrophon und kündigt Charlotte Roche mit einem launigen Kalauer an: "Herzlich willkommen hier auf dem Eiermarkt - das passt ja!" Bei der Lektüre habe er gedacht, dass er offenbar sehr konservativ sei, gegen Ende des Buches aber auch: "Das ist doch gar nicht so schlecht, dass ich so konservativ bin!"

Charlotte Roche kommt ohne Umschweife zur Sache: "Mein Roman spielt die ganze Zeit im Krankenhaus, und die ganze Zeit zwischen den Beinen einer Frau."

Dann beginnt sie zu lesen: "Solange ich denken kann, habe ich Hämorrhoiden." Unterbricht sich selbst gleich nach ihrem ersten Satz: "Über diesen Satz habe ich sehr, sehr lange nachgedacht!" Sofort wird klar: Sie ist ausgesprochen begeistert von ihrem eigenen Werk.

Schlau: Sie liest den Anfang des Buches vor. Der ist auch der stärkste, weil witzigste Teil des Romans. Eine Frau im Publikum quietscht auf vor Vergnügen. Roche: "Ist sie etwa jetzt schon gekommen?"

Das wiederum ist Futter für einen rotgesichtigen, glatzköpfigen Kerl, der vor einem halben Liter Bier hockt und vor Gröhlen zu platzen droht. Dieser Vorfall regt Roche zu einem kleinen Exkurs an, der mit dem Satz endet: "Auch solche Leute zieht man mit so einer Lesung an."

Diese Frau hat wirklich Charme, und den setzt sie gezielt ein, als sie sich langsam zu den ekligeren und unappetitlicheren Stellen ihres Buches vorarbeitet. Und ihr Charme zeigt Wirkung: Plötzlich finde ich die widerlich-unhygienischen Stellen gar nicht mehr derart abstoßend wie bei der Lektüre in meinem stillen Kämmerlein. Es gibt noch viel Ekligeres, zum Beispiel diesen notgeilen Lachsack am Nachbartisch.

Aber auch im restlichen Zelt ist die Stimmung gehoben. Viel Gelächter, manchmal Zwischenapplaus.

Charlotte Roche liest mittlerweile über Muschiflora, -geschmack und -geruch. "Mein Ziel ist es, dass es leicht und betörend aus der Hose riecht - auch aus Jeans oder dicken Skihosen." Als sie vorträgt, dass ihre Romanheldin sehr gern mit ihrer Muschi über die Toiletten von Autobahnraststätten wischt, tobt das Zelt. Der Lachsack nimmt eine violette Gesichtsfarbe an, brüllt vor Lachen, schlägt mit der einen Hand rhythmisch auf den Tisch und winkt mit dem anderen Arm den Kellner herbei. Mehr Bier!

Roche: "Ist das noch Lachen, oder weinen Sie?"

Als die Autorin erzählt, wie ihre Protagonistin in der Badewanne durch das alleinige Hochsteigenlassen von Furzblasen zum Orgasmus kommt, gibt es für meinen Nachbarn kein Halten mehr. Er erleidet offenbar gerade einen Infarkt. Mit letzter Kraft klammert er sich an einem der Zeltpfosten fest, und es sieht so aus, als werde er uns alle mit in den Abgrund reißen. "Eine wirklich dreckige Lache!", kommentiert Charlotte Roche.

Dass nach Einläuten der Fragestunde sich erstmal keiner traut, kennt sie schon: Manche Leute hätten einfach Angst vor ihr. Ein Mann habe ihr erzählt, dass er befürchte, sie würde sagen: "Hey! Du kommst jetzt mal hier auf die Bühne! Und dann zeigst du mir, wie du masturbierst!" Und dass man sich daher doch besser im Hintergrund halte.

Auch hier im Zelt bleibt es zunächst still. Dann meldet sich aber eine Anästhesistin, die ihren Berufsstand im Roman unvorteilhaft dargestellt sieht. Und jemand möchte wissen, wann das Buch verfilmt wird. Roche: "Was für ein Film sollte das sein? Da würde doch jeder Kinozuschauer über seine eigene Erektion kotzen." Auf die Frage, wann das Buch ins Englische übersetzt werde, antwortet sie: "Demnächst. Aber fast alle anderen europäischen Länder haben auch schon angefragt. Und im Taiwan kann man das Buch auch schon kaufen. Aber erst, wenn man 18 ist."

Wer ihre Bücher kauft, darüber gebe es leider keine Erhebungen. Aber ein Buchhändler ihres Vertrauens habe mal heimlich eine Strichliste geführt und sei zu folgendem Ergebnis gelangt: "70 Prozent Studentinnen, 30 Prozent sehr alte Männer."

Apropos 70 Prozent. Irgendwann traut sich endlich auch einer, die Gretchenfrage zu stellen: "Der Spiegel schreibt, 70 Prozent seien autobiographisch, stimmt das?"

Roche: "Ich habe mir dieses sexuelle Gedöns ausgedacht, und was meine Protagonistin da macht, ist noch mal zehnmal krasser als meine Phantasie. Das sind Themen, mit denen ich selbst eher verklemmt bin. Es handelt sich doch lediglich um eine geistesgestörte Hämorrhoiden-Wichs-Orgie."

 

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