Als ich kurz nach meinem Eintreffen in Westerland
einen ersten Blick in die örtliche Zeitung werfe, stelle ich fest, dass
ich wohl länger nicht mehr auf dieser Insel gewesen sein muss. In fetter
Schlagzeile steht dort: “Immer mehr Menschen ignorieren das
Fütterverbot der Problemmöwen!”
Ich schaue in den Himmel. Über mir kreist eine
Möwe und stößt ihren typischen Schrei aus, mit dem ich bislang
eigentlich stets
heiteres Sommer-Sonne-Strandgefühl verbunden hatte. Ein
erneuter Blick in die Zeitung belehrt mich eines Besseren: Die Möwe ist
zum Problem geworden, der Tourist fühlt sich von ihrem Geschrei
belästigt, Füttern kostet jetzt 1000 Euro.
Begleitet vom (Entschuldigung) heimeligen Geschrei
der Problemmöwen suche ich meine Ferienwohnung auf, die sich in
unmittelbarer Nähe zum Brandenburger Strand befindet, dem Ziel meiner
Reise. Denn hier werden an diesem Wochenende die Kitesurf-Meisterschaften
ausgetragen.
Bei Sturm und Regen statte ich am Abend dem Meer
meinen ersten Besuch ab. In der Bar “Sundown Beach” krieche ich unter
und bestelle eine hausgemachte Rindfleischsuppe mit Nudeln. Von hier aus
genieße ich einen ebenso gemütlichen wie vorzüglichen Blick auf die Nordsee, auf der sich einige Kitesufer auf den morgen
startenden Wettkampf vorbereiten.
Am nächsten Mittag sehe ich bereits von weitem
über der Düne zahlreiche Kites am Himmel stehen. Sie sehen aus wie
überdimensionierte Lenkdrachen. Als ich zum Strand komme, ist der
Wettkampf bereits in vollem Gange. Über 40 Kiterinnen und Kiter zwischen
16 und 25 Jahren kämpfen in drei verschiedenen Disziplinen um wertvolle
Punkte für die Deutsche Meisterschaft, die während des Sommers an
verschiedenen Orten ausgetragen wird.
Ich lege mich in den Sand und schaue fasziniert den
rasanten Kitern nach, die an ihren Schirmen hängend mit bis zu 75 km/h
über das Wasser jagen und zwischendurch faszinierende Sprünge, Drehungen
und Salti zeigen, bei denen sie bis zu 10 Sekunden in der Luft bleiben.
Jeder Kiter hat heute beim “Best-Trick-Contest”
30 Minuten Zeit, um den Kampfrichtern seinen besten Sprung zu zeigen.
Teilweise befinden sich dabei mehr als 20 Kites am Himmel. Da sich die
Kiter von der am Strand südlich gelegenen Startlinie auf dem Wasser
erheblich Richtung Norden entfernen, ist es unerlässlich, irgendwann an
Land zu surfen, das Board unter den Arm zu klemmen und das am Himmel
stehende Kite wieder Richtung Süden zu bugsieren, um erneut
zu starten.
Dies scheint eine sehr anstrengende Angelegenheit zu sein. Man sieht den
Sportlern an, welche Kräfte sie aufbringen müssen, um die Kites gegen den
Wind im Zaum zu halten, während sie unter dem anderen
Arm das Board schleppen. Ist das Kite abgestürzt, schleppen es die
Sportler ebenfalls unter dem Arm zum Start. Das Ganze unter Zeitdruck, da sie ja innerhalb
der 30 Minuten möglichst viele ihrer Tricks präsentieren und daher
möglichst oft starten möchten.
Am nächsten Tag fällt es mir nur sehr schwer, mich
von den Surfern loszureißen, um den geplanten Ausflug nach Keitum zu
unternehmen. Aber geplant ist schließlich geplant! Bei strömendem Regen
steige ich in Keitum aus dem Bus und begebe mich zunächst in Richtung
Grünes Kliff. Wie unterschiedlich die Natur auf Sylt doch ist! Im Norden
Wüste, im Westen wilde See und rasante Steilklippen, und hier im
östlichen Keitum malerisches Grün am beschaulichen, windstillen
Wattenmeer.
Keitum mit seinen reetgedeckten Häusern und
hübschen baumbestandenen Straßen gilt ja als der “schönste Ort Sylts”,
aber irgendwie kann ich heute nicht auf diese romantisch-brave friesische
Vorzeigearchitektur. Außerdem habe ich - vom Grünen Kliff zurück
gekehrt - völlig die Orientierung verloren und frage eine Passantin nach
dem Ortskern. “Hm”, überlegt diese Dame. “Also … Bogner ist dort!”
und zeigt in eine Richtung. “Dort werden Sie das Wichtigste finden.”
Ich: “Ach so. Und wo ist die Bushaltestelle?” Sie zeigt in die
entgegen gesetzte Richtung. Und die schlage ich ein.
Am Brandenburger Strand in Westerland gelten ab
heute strengere Regeln: Jeder hat nur noch 8 Minuten Zeit, um sich zu
bewähren! Die Wettkämpfe erfolgen im K.O.-System. Das bedeutet:
Möglichst wenig Zeit verlieren am Strand auf dem Weg zurück zur
Ziellinie!
Kiter, die nach erfolgten Sprüngen auf den Wellen
zurück an den Strand gerast sind, werden von ihren Trainern bereits
erwartet und an
die Hand genommen. Gemeinsam rasen sie im Laufschritt zu Fuß
zurück zur Startlinie, während der Trainer das Surfboard schleppt und
der Kiter das Segel am Himmel in die gewünschte Richtung zerrt. Je enger
eine Wettkampfentscheidung wird, desto dramatischer diese Szenen am
Strand. Teilweise sind die Sportler inzwischen völlig ausgelaugt und
kraftlos, werden nur noch von ihren Trainern zurück zum Start geschleift.
Während sein Schützling sich von hier aus erneut in die wilden Fluten
stürzt, rennt der Trainer schon wieder los, um diesen einige hundert
Meter weiter im Norden an Land erneut in Empfang zu nehmen.

Mit hochgekrempelten
Hosenbeinen unternehme ich am
Abend einen Strandspaziergang in
Richtung Wenningstedt, während sich das Meer langsam zurückzieht. Was mich dort erfreut: Das am Steilkliff gelegene
Traditionslokal Kliffkieker, das seit 1923 einen erbitterten Kampf
gegen den Sturm führt und immer wieder vor den Naturgewalten
zurückweichen und Gebäudeteile abgeben musste, weil immer mehr Substanz
des Kliffs abgetragen wurde, hat offenbar endlich Stabilität erreicht.
Das Kliff scheint mit Hilfe des angepflanzten Strandhafers solide
befestigt zu sein.
Auch am letzten Austragungstag wird noch erbittert
gekämpft, bevor es am frühen Nachmittag zur Siegerehrung geht. Bei den
Mädels hat in allen Disziplinen die bestehende Deutsche Meisterin Sabrina
Lutz (Hamburg) die Nase vorn. Mein persönlicher Favorit - Tim Kummerfeld
(Hamburg) - wurde beim Freestyle - also den Sprüngen - leider nur
Vierter. Beim Racing konnte er jedoch Platz 2 erkämpfen. Als
Titelverteidiger hat sich Mario Rodwald (Rendsburg) bewährt.
Ich freue mich schon auf die Meisterschaft 2009 und sage “tschüss” bis zum nächsten Mal!
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