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Berlin: 
Mauer, Museen und Melancholie

25. bis 28. März 2006 

Das fängt ja gut an! An meinem Hotel ist eine Tafel angebracht mit dem Hinweis, dass hier in den 20er und 30er Jahren die Expressionismus-Lyrikerin Else Lasker-Schüler gewohnt hat. Ich schätze die Dichterin sehr und habe während meines Studiums eine Arbeit über sie verfasst. Das Haus befindet sich am Nollendorf-Platz in Berlins Schwulen-Szene, wo es zahlreiche Cafés gibt. Die U-Bahn ist nur eine Gehminute entfernt.

Liebesbriefe und eklige Gerüche

Nach dem Frühstück am nächsten Morgen fahre ich in das Museum für Kommunikation. Gleich am Eingang treffe ich auf einen kleinen Jungen, der in einem Bagger sitzt und mit Hilfe dieses Geräts drei Kisten aufeinanderstapeln will, die er von seiner Position aus aber nicht sehen kann. Eine Besucherin gibt ihm exakte Anweisungen (Rechts! Links! Stopp!), die der Bengel mit zwischen den Zähnen eingeklemmter Zunge hochkonzentriert umsetzt.

In der ersten Etage des herrlichen, imposanten Gebäudes, dessen Eingangshalle sich über mehrere Stockwerke erstreckt, und das mit verschwenderisch viel Marmor und Säulen ausgestattet ist, werden jede Menge Exponate ausgestellt, die mit der Post in Verbindung stehen. Wie zum Beispiel Briefkästen, Telefone, Siegelstempel, aber auch Liebesbriefe.

Wer sich ausruhen möchte, findet dazu im Nachbarraum Gelegenheit. Auf einer gemütlichen Liegewiese kann man unter der Decke Schlüsselszenen aus alten Liebesfilmen sehen.

Eklig wird es allerdings bei den Gerüchen. Es werden in etwa zehn verkorkten Glasbehältern menschliche "Düfte" vorgehalten. Man soll daran riechen und hinterher raten, um welche Gerüche es sich handelt. Wie die Auflösung ergibt, werden uns unter anderem Achselschweiß, Kopfhautgeruch, Männerhaut und Frauenhaut präsentiert. Um die Sache auf den Punkt zu bringen, zitiere ich eine Museumsbesucherin: "Ich könnte kotzen!"

Melancholie

Die Schlange vor der Neuen Nationalgalerie wirkt auf den ersten Blick inakzeptabel lang. Da ich aber schonmal da bin, reihe ich mich dennoch ein. Gezeigt wird die Ausstellung "Melancholie. Genie und Wahnsinn in der Kunst", die ein großes Medieninteresse hervorgerufen hat. Es geht schneller voran, als ich dachte, und nach einem Hot Dog und der Lektüre des draußen verteilten Info-Materials bin ich schon drin.

Die Melancholie gilt in der abendländischen Kunst seit mehr als zwei Jahrtausenden als die geistige Quelle aller großen künstlerischen Schöpfungen. Die Ausstellung erzählt die Geschichte dieser Idee von der Antike bis in die Gegenwart - mir mehr als 300 Meisterwerken der Malerei, Skulptur, Graphik, Fotografie und Videokunst.

Bedingt durch das Leitthema zieht sich durch die Ausstellung eine eigenartige Stimmung von - wie könnte es anders sein - Melancholie, die mir sehr gefällt. Die Ausstellung ist noch bis 7. Mai zu sehen und unbedingt zu empfehlen!

Mauer

Ich bin ja im so genannten Zonenrandgebiet aufgewachsen und lebe dort noch immer und habe daher einen gewissen Bezug zur "Zonengrenze" und der Berliner Mauer. In meiner Jugend sind wir sehr oft nach Berlin gefahren, um "Berlin unsicher zu machen", und mussten jedes Mal etliche Schikanen an der Grenze über uns ergehen lassen. Einige Male sind wir auch nach Ost-Berlin "eingereist", wie es damals hieß. Diese Kontrollen waren noch einmal um einiges heftiger als die, die bei der Benutzung der Transitstrecke anstanden.

Bei diesen Kontrollen wurde mit Spiegeln untersucht, ob sich jemand unter dem Auto versteckt hat, Kofferraum und Motorraum wurden durchsucht, wenn man Pech hatte, musste man in einen Bretterverschlag, musste sein gesamtes Gepäck durchwühlen lassen und sich einer Körperkontrolle unterziehen. Gleichzeitig hatte man Angst, durch die Willkür der Vopos für ein paar Tage eingebuchtet zu werden, und hielt aus diesem Grunde sein Mundwerk geflissentlich im Zaum.

Checkpoint CharlieAm legendären Berliner Grenzübergang Checkpoint Charly gibt es heute ein Mauermuseum. Dort kann man allerhand Dokumente betrachten, die Geschichten rund um die Mauer, das Leben mit der Mauer sowie Fluchten und Fluchtversuche erzählen. Während meines Aufenthaltes dort werden etwa zehn Schulklassen durchgeschleust, außerdem gehören jede Menge Amis zu den Besuchern.

Im Pflastersteine kennzeichnen den Verlauf der Mauer Museumsshop kann man "Original-Mauersteine" mit "Original-Zertifikat" erwerben. Davon ziemlich irritiert kaufe ich lediglich den Mauerplan, der den Verlauf der ehemaligen Mauer zeigt und Auskunft gibt über verschiedene Gedenkstätten, Überreste, ehemalige Übergänge oder Fluchttunnel.

Übrigens ist der Verlauf der ehemaligen Mauer an weiten Stellen der Berliner Innenstadt durch einen Kopfsteinpflasterstreifen im Asphalt sichtbar gemacht worden.

Topographie des Terrors

Nahe des Mauermuseums ist an einem Überrest der Mauer die Ausstellung "Topographie des Terrors" zu besichtigen. Hier befanden sich von 1933 bis 1945 die wichtigsten Zentralen nationalsozialistischer Repressions- und Verbrechenspolitik. Unter anderem kann man hier durch Knopfdruck die originalen zum Teil hanebüchenen Aussagen der Angeklagten der Nürnberger Prozesse abrufen.

Am nächsten Tag besuche ich das Bauhaus-Museum, das ich vom Hotel aus zu Fuß erreiche. In dem von Walter Gropius errichteten Bau kann man sich informieren über die Idee, die Gründer und die Mitarbeiter des Bauhaus und kann Exponate aus den Bereichen Architektur, Möbel oder Geschirr ansehen.

Anschließend besuche ich das Holocaust-Mahnmal. Als es vor einiger Zeit errichtet wurde, stand ich - aus der Entfernung betrachtet und beurteilt - dem Bauwerk mit einiger Skepsis gegenüber. Wenn ich aber jetzt durch die grafisch streng angeordneten außerordentlich engen Gassen gehe, die durch die anthrazitfarbenen, kalten Stelen entstehen, erlebe ich ein Gefühl der Beklemmung und Bedrückung. Es ist kalt zwischen den Steinen, obwohl die Sonne scheint. Die Stelen sind so angeordnet, dass der Besucher sich zwischen ihnen meist im Schatten befindet. Das Gelände ist ziemlich riesig, und die Anzahl der Stelen ebenfalls. Ich empfinde Kälte und Härte zwischen den Steinen und fühle mich klein. Damit bin ich eigentlich ganz zufrieden und bereit, meine anfängliche Kritik gegenüber diesem Mahnmal zu korrigieren. 

Gleich um die Ecke befinden sich das Brandenburger Tor und das Reichstagsgebäude, denen ich einen kurzen Besuch abstatte, um anschließend im Hotel die Füße etwas hochzulegen. 

Alexanderplatz

Am nächsten Tag besuche ich den Alexanderplatz. Den kenne ich noch aus der DDR-Zeit. Man traf sich damals an der Weltzeituhr  - und das tut man offenbar heute auch noch. Als ich dort herumlaufe, sehe ich einen jungen Mann, der von einem Fuß auf den anderen tritt und in kurzen Abständen ungeduldig auf seine Armbanduhr sieht, um anschließend seinen Blick über den Platz schweifen zu lassen.

Dort, wo ich damals - vor der Wende - mein Zwangsumtauschgeld in Bücher angelegt hatte, befindet sich heute eine moderne Ladenzeile. Damals war der Alexanderplatz - wie der gesamte Osten - grau. Kaum Farbe, kaum Licht, keine Werbung. Ich erinnere mich wieder daran, dass wir uns extra - unserer Meinung nach - unauffällig gekleidet hatten, damit wir nicht als "Wessis" auffielen - aber wir hatten keine Chance und wurden stets entlarvt.

Ziemlich pitoresk erscheint mir die Tatsache, dass man überall in Ost-Berlin Straßenverkäufer findet, die Vopo-Mützen, Russenmützen, diese Puppen-in-Puppen-Puppen und sogar Handschellen verkaufen. Der Renner sind außerdem diese Ost-Ampelmännchen. Nahe der Museumsinsel gibt es sogar ein Geschäft, das ausschließlich Ampelmännchen-Produkte feilbietet.

Bernauer Straße

Am Nachmittag begebe ich mich noch einmal auf einen Mauerspaziergang. Ich habe mich zu einer Führung angemeldet und finde mich gemeinsam mit einem Ehepaar am Treffpunkt am Prenzlauer Berg ein. Die Mitarbeiterin von "Stadtverführung Berlin" führt uns zur Bernauer Straße, wo kurz nach dem Mauerbau die direkt an der Grenzen stehenden Wohnhäuser als Mauer gedient hatten. In den Anfängen wurden diese Häuser als Fluchtmöglichkeit genutzt, das heißt, von hier aus sind Leute aus den Fenstern in den Westen - und auch in den Tod - gesprungen. Hier wurden auch die berühmten Tunnel gebaut, und hier wurde das bekannte Foto des flüchtenden über Stacheldraht springenden Volkspolizisten aufgenommen.

Der hatte übrigens vorab den Westpolizisten Bescheid gesagt, dass er in Kürze flüchten werde, und seinen Westkollegen die notwendige Zeit gegeben, um Pressefotografen herbeizuschaffen. Er hat allerdings später den Rummel um seine Person nicht verkraftet und hat in den 80er Jahren Selbstmord begangen. Insofern ist es fraglich, ob es wirklich ein "Sprung in die Freiheit" war.

Direkt an die Bernauer Straße grenzte der Westberliner Wedding. Der wurde über Nacht von der Mauer U-förmig von drei Seiten eingegrenzt. Die Achse vom Wedding zum pulsierenden Alexanderplatz war von einem Tag auf den anderen gekappt. Der Wedding blutete aus und wurde zu einer der unattraktivsten Wohngegenden von Berlin.

Wenn man heute die Bernauer Straße entlang geht, fragt man sich hin und wieder: Wo ist Osten, wo ist Westen? Die Ostseite ist inzwischen aufgepeppt, farbig und schick zurecht gemacht, der Prenzlauer Berg ist angesagtes Ausgehviertel. Der Wedding auf der anderen (West-)Seite präsentiert graue, abweisende Plattenbauten. Die Wunde, die die Mauer diesen Stadtteil zugefügt hat, ist auch nach 15 Jahren nicht verheilt.

Ich muss die Führung vorzeitig verlassen, um meinen Zug zu bekommen. Am Bahnhof Zoo überkommt mich etwas Wehmut. Vermutlich ist es das letzte Mal, dass ich hier einsteige, um nach Hause zu fahren. Der gemütlich-chaotische Bahnhof Zoo mitten im Kiez gehörte für mich zum Berlin-Besuch wie die rote Sauce zur Curry-Wurst. Das nächste Mal werde ich wohl in dem gestylten Lehrter Mega-Bahnhof herumirren, der sich für mich in einer Art Berliner Niemandsland befindet.

"Ach was", tröste ich mich auf der Rückfahrt. "Vorher machste nochmal 'rüber. Dauert ja nur 'ne Stunde achtzehn!"  

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