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Wien

2. bis 5. April 2008

Am Flughafen geht dieses Mal alles gut. Anders als bei meiner letzten Wienreise bleibt mein Reiseheizlüfter unentdeckt, und ich werde bei der Abfertigung nicht wie eine Terroristin behandelt. Ich muss lediglich meine kleine Flasche Mineralwasser abgeben und eine Minute später - nachdem ich die Kontrolle passiert habe - durch ein Fläschchen Evian für 2,80 Euro ersetzen.

Ich führe ja auf Reisen inzwischen stets einen kleinen Haushalt mit mir: Außer dem bereits erwähnten Heizlüfter noch eine 100-Watt-Birne und eine zusätzliche Leselampe, eine dünne, aber stark wärmende Decke, ein aufblasbares Kopfkissen, meine spezielle Sorte Tee sowie einige Tütchen mit koffeinfreiem Kaffee.

Wenn ich später in meinem Hotel angekommen sein werde, werde ich in der Hausordnung lesen, dass der Anschluss von zusätzlichen Elektrogeräten - wie etwa Wolken über Wien Kochplatten (!) - im Zimmer untersagt  sei. Die bringen einen ja direkt noch auf was! Obwohl: Mit Tauchsieder bin ich auch schon oft gereist und habe damit einmal auf einer Nordseeinsel die Elektrik eines gesamten Hotels kurzfristig lahmgelegt.

Aber noch befinde ich mich ja in meinem Flieger, und das Handy habe ich brav ausgeschaltet. Der Blick aus dem Fenster bestätigt mich in der Wahl der Gegenstände, mit denen ich meinen Koffer gefüllt habe.


Sprachbarrieren

Gleich nach der Landung will ich mir ein Drei-Tages-Ticket für U- und Straßenbahn kaufen.

Der Schalterheini nasalt nölend irgendetwas vor sich hin, ohne mich dabei anzuschauen. Ich bin mir wirklich nicht sicher: Ist der Mann vielleicht blind und starrt deshalb ins Leere? Er murmelt stets die Beträge 13,80 Euro und 18,80 Euro. Mein Nachfragen bringt keine weitere Klarheit. Ein drittes Mal möchte ich nicht fragen, also wähle ich 13,80 Euro. Er schnappt meinen 20-Euro-Schein und gibt mir ohne Probleme Fahrkarte und Wechselgeld. Er kann sehen. Später erfahre ich, dass in den 18,80 Euro Ermäßigungen für viele Museen usw. enthalten gewesen wären. Ich ärgere mich eine Runde lang heftig, da ich vorhabe, viele Museen zu besuchen.


Hotel

Kunst im HotelMein Hotel liegt sehr zentral, direkt hinter dem Museumsquartier, nahe der Oper und der Einkaufsstraße Mariahilferstraße. Ich erreiche es bequem mit der U-Bahn. Als ich die Lobby betrete, fühle ich mich seltsam beobachtet: In der Eingangshalle und auf der Galerie befinden sich überall Schaufensterpuppen, die mich in lässig-entspannter Haltung nebenher zu begrüßen scheinen.

Das Haus wirkt frisch und modern, hat sich - aufgrund der Nähe zu den Museen - ein wenig der Kunst verschrieben. Beim Betreten des Zimmers fragt man sich allerdings zunächst erschrocken: Und wo ist das Zimmer? Man sieht ein Doppelbett, um das herum ein kleiner Weg freigehalten wurde, wahrscheinlich für das Personal, damit es die Möglichkeit hat, die Betten neu zu beziehen. Andernfalls hätte man die Betten wahrscheinlich direkt eingemauert.

Für ein Vier-Sterne-Hotel für meinen Geschmack ein wenig knapp bemessen … Aber die Lage ist vorzüglich, und da will ich mich mal nicht beklagen.


Ringstraßenarchitektur

Den Abend nutze ich, um entlang der Ringstraße die sensationelle Wiener Architektur endlich wieder bewundern zu können. Leider unter aufgespanntem Regenschirm schreite ich die Staatsoper, das Naturhistorische und das Kunsthistorische Museum, das Parlament, das Rathaus, das Burgtheater und die Universität ab. 

Staatsoper Staatsoper Bühneneingang Natur- und Kunsthistorisches Museum

Parlament Rathaus Burgtheater


Die Universität betrachte ich erneut von innen und beneide jeden, der hier studieren oder lehren darf.

Universität Universität von innen Universität von innen

Vögel zwitschern in Wien aus Lautsprechern

 

Wien hat übrigens keine eigenen, lebendigen Vögel! Auf diesen Gedanken kann man zumindest kommen, wenn man entdeckt, dass in den Bäumen im Museumsquartier Lautsprecher angebracht sind, aus denen Vogelgezwitscher klingt.

 

Freud

Das FreudmuseumNoch ein paar Schritte weiter, und ich stehe an der Währinger Straße/Ecke Berggasse. Ich sehe die Berggasse hinab und entdecke bereits von weitem ein aggressiv leuchtendes, rotes Schild mit den Lettern: FREUD. Klar, das Museum liegt sehr unauffällig in einer normalen Wohngegend und hielt sich bisher immer sehr versteckt. Aber ohne diese auffällige Werbung hatte man bisher das Gefühl, einen kleinen, verborgenen Schatz gehoben zu haben, wenn man endlich vor dem Haus stand. Jetzt hingegen sieht man das Schild bereits von der vorbeifahrenden Straßenbahn aus. Aber selbstverständlich ist Werbung für dieses kleine Museum überlebensnotwendig, das sehe ich ein.


Kunst

Am nächsten Morgen werde ich magisch angezogen von der “Sammlung der Batliner in der Renoir: Mädchen in Pastell Albertina”. Wenn man noch meinen Vor- und Nachnamen dazuschüttelt, erhält man einen interessant-aufgeräumten Buchstabensalat. In Wirklichkeit gehe ich aber hinein, um erstens endlich einmal die berühmte Kunsthalle Albertina zu besuchen, und zweitens, weil das Angebot umwerfend ist: Es werden Werke berühmter Impressionisten wie Monet, Renoir, Degas gezeigt, Werkgruppen von Cézanne, Toulouse-Lautrec und Picasso. Die berühmtesten Bilder der Ausstellung sind wohl das Seerosenbild von Monet und das Mädchenbildnis in Pastell von Renoir.

Einen weiteren Schwerpunkt bildet die Kunst des deutschen Expressionismus mit den beiden Künstlergruppen “Die Brücke” und “Der Blaue Reiter”. Einige surrealistische Werke von Miró und Magritte werden ebenfalls gezeigt.

Ich habe noch etwas Zeit bis zu meiner Führung am Nachmittag und marschiere vorbei an der Oper bis zur Gemäldegalerie. Hier soll ein Bild von Caravaggio hängen, meinem Lieblingsmaler. Zwar finde ich hier interessante italienische Gemälde aus verschiedenen Epochen und weitere Meisterwerke der europäischen Malerei, aber ein Caravaggio ist nicht dabei. War ja klar: Als ich mal den Caravaggio in der Berliner Gemäldegalerie besuchen wollte, war dieser gerade unterwegs in Amsterdam. Später werde ich erfahren, dass mich mein Wiener Reiseführer in diesem Punkt in die Irre geführt hat.


Wiener Würstchen

Um 14 Uhr beginnt am Hohen Markt meine Stadtführung. Ich bin sehr zeitig dort, mein Magen knurrt, und vor mir steht eine Würstchenbude. Das passt. Ich erinnere mich an das Würstchen-Erlebnis bei meinem letzten Wien-Besuch: Die Würstchenbudendame kannte den Begriff “Wiener Würstchen” nicht und erklärte mir, dass eine Wurst aus einem Trog mit heißem Wasser in Wien als “Burener” bezeichnet wird.

WürstchenbudeIch stelle mich also gerade und selbstbewusst hin und schmettere dem Würstchenbudenbetreiber stolz entgegen: “Eine Burener bitte!” - Er: “Wos?” - Ich, etwas unsicherer: “Eine Burener?” Er weiß nicht, was ich will. Ich: “So eine Wurst aus einem Trog mit heißem Wasser!?” Er: “Aah!” Öffnet einen Deckel und angelt mit einer Holzzange eine ein Meter lange Wurst heraus, in der Mitte einmal geknickt. Lässt sie stolz vor meiner Nase mit der Erklärung baumeln: “Eine Burenwurst!”

Ich muss schlucken. “Oh, die ist aber groß!” Er (zeigt auf einen Grill): “Wir haben auch kleinere!” Das aber sind fettige Bratwürste. “Die sind mir zu fettig!” Er: “Nein, das ist kein Fett! Das sind Bratwürste!” Ich verzichte und krame in meinem Rucksack nach einem Keks. Hinter mir hat sich bereits eine Schlange mit schlipstragenden Geschäftsleuten gebildet. Als ich gehe, sieht mir der Würstchenmann fragend nach, und ich werde später noch erfahren, warum …


Die Wiener Seele

Treffpunkt für den Stadtspaziergang mit dem Titel “Verschlungene Der Vermählungsbrunnen Pfade in der Altstadt - ein Spaziergang durch die Wiener Seele” ist am Selbstmörderbrunnen. Allerdings finde ich diesen nicht. Ich frage Mitarbeiter in den anliegenden Geschäften: Kopfschütteln. Endlich sehe ich doch einen Brunnen, der wegen Bauarbeiten aber völlig eingerüstet und somit nicht als solcher identifizierbar war. Dort steht auch bereits meine Gruppe, und ich erfahre: Der Brunnen heißt gar nicht “Selbstmörderbrunnen”, sondern “Vermählungsbrunnen”. Ich habe es mir falsch gemerkt. Da hat mir der Herr Freud aber einen hübschen Streich gespielt! Als die Fremdenführerin uns auch noch erzählt, dass an dieser Stelle früher einmal der Galgen gestanden hat, finde ich, dass irgendwie doch wieder alles zusammen passt.

Wir erfahren einiges über die Wiener Juden und ihren Einfluss auf die Wiener Sprache und können beobachten, wie die Synagoge nahe des Hohen Marktes (dem ältesten Platz Wiens), strengstens von der Polizei vor Anschlägen bewacht wird. Und wir erfahren einiges über die Wiener Damen: Sie bleiben lange jung, sind unternehmungslustig, zickig und schön. In Gedanken gehe ich meine Ahnen durch und frage mich, woher ich diese Wiener Gene wohl haben mag …

Die Wienerin erklärt uns auch, was denn nun genau der Wiener Schmäh sei: Ein schwarzer Humor, oft eine Lügengeschichte, arglistig, morbide, arrogant, grantelnd, hinterhältig, der Erzähler meist stur, aber bisweilen auch freundlich. Und die reinste Form des Wiener Schmähs finde man in einem Wiener Kaffehaus, wo es im übrigen gewisse Regeln zu beachten gebe:

"Man bestellt in einem Wiener Kaffeehaus niemals eine 'Tasse' Kaffee, sondern eine 'Schale'. Und man betont kei!nesfalls den Kaffee auf der ersten Silbe, sondern verlangt immer einen Kaffeeeeee." Außerdem seien alle Ober in einem traditionellen Wiener Kaffeehaus stets unfreundlich. Nicht der Kunde sei König, sondern der Ober, der meist ein in schwarzem Anzug sowie Schlips und Kragen gekleideter älterer Herr sei. Man müsse sich die Gunst des Obers erst erarbeiten. Bis dahin müsse man sich in Geduld üben und froh sein, wenn er sich innerhalb von 10 bis 15 Minuten nach dem Eintreffen des Gastes dazu entschließe, diesen zu fragen, was er wünsche.

Gut zu wissen, denn in Kürze bin ich in einem traditionellen Wiener Kaffeehaus verabredet.

Als wir am Ende der Führung wieder zum Ausgangspunkt zurückkehren, zeigt unsere Wiener Fremdenführerin mit ausgestrecktem Arm auf meine Wurstbude und erklärt: “Und dort drüben steht übrigens die beste Würstchenbude von ganz Wien!”


Treffen im Kaffeehaus

Am Westbahnhof bin ich mit D. verabredet. Als ich aussteige, stelle ich erschrocken fest, dass ich hier offenbar in der Bronx dieser Metropole gelandet bin! Als D. eintrifft, bin ich froh, diese üble Gegend möglichst schnell wieder verlassen zu können. Wir marschieren zurück in Richtung Innenstadt. Hier betrete ich zum ersten Mal in meinem Leben ein Wiener Kaffeehaus. Endlich kann ich mit meinem vorhin erworbenen Wissen protzen und erzähle D., was mir die Wienerin unlängst beigebracht hat.

Café Ritter Café Ritter Café Ritter

D. und ich sitzen kaum, da steht auch schon ein netter älterer Herr im schwarzen Anzug an unserem Tisch und fragt freundlich, was wir möchten. Irritiert über die Änderung des von der Wienerin vorausgesagten Programmablaufs setze ich mich kerzengerade hin und gehe das Gelernte noch einmal im Geiste durch ("Schale, Schale, Schale ..."). Denn zu Hause bestelle ich gewöhnlich weder Schale noch Tasse, sondern einfach einen Káffe(e). Sehr deutlich und akzentuiert verkünde ich daher: "Ich hätte gern eine TASSE Kaffeeeee!" D. lacht sich kaputt, und ich krieche beschämt in ein Mauseloch.


Hundertwasserhaus

Am nächsten Morgen steht zunächst das Hundertwasserhaus auf dem Programm. Als ich an der U-Bahn-Station Rochusgasse die Treppen nach oben steige, schlägt mir Fischgeruch entgegen: Ich lande mitten auf einem Wochenmarkt! Ich kann solche Märkte nicht leiden, muss aber mitten durch. Mehrmals! Mein altes U-Bahn-Problem: Wenn ich den Schacht verlasse und ans Tageslicht komme, weiß ich nicht, in welche Himmelsrichtung es weiter geht. Die Händler hocken auf Schemeln vor ihren Ständen und preisen mir aufdringlich ihre Lebensmittel an. Schnell weg!

Ich finde die richtige Straße endlich und schlage an der nächsten Kreuzung wieder meinen Stadtplan auf. Da kommt mir eine ältere Dame entgegen, bleibt stehen, lächelt mich freundlich an und fragt: „Möchten Sie zum Hundertwasserhaus?“ Ich lache und nicke, und sie sagt: „Gehen Sie dort ums Eck, dann sehen Sie es schon blitzen!“ Bereits bei meinem letzten Besuch hatte ich ja den Eindruck, dass die Wiener sehr stolz auf ihre Stadt sind, und dieser Eindruck wird gerade wieder bestätigt.

HundertwasserhausAls ich vor dem Hundertwasserhaus stehe, bin ich überwältigt! So schön und interessant hätte ich es mir niemals vorgestellt! Das 1985 errichtete Kunstwerk ist ein wenig in die Jahre gekommen, der Lack ist im wahrsten Sinne des Wortes an der einen oder anderen Stelle ab, aber das tut der Schönheit keinen Abbruch. Harmonie zwischen Mensch, Stein und Natur ist es, was das Haus erreichen wollte, und das ist es auch, was es auf den ersten Blick ausstrahlt. In erster Linie fällt die Harmonie der Farben auf sowie die Bäume, die auf allen Hundertwasserhaus Etagen aus den Mauern herauszuwachsen scheinen.

Besonders interessant erscheint mir das „Fensterrecht“: Hundertwasser war der Meinung, jeder Mieter müsste das Recht haben, das Mauerwerk um seine Fenster herum abzukratzen, soweit der Arm reicht, und diesen Bereich mittels Farbe und Pinsel nach seinen individuellen Vorstellungen zu bemalen.

HundertwasserhausDas Hundertwasserhaus erweist sich als Pilgerstätte für Schulkinder. Massen an Schülern umlagern das Haus. Wie muss das erst zur Hochsaison sein? Das Haus wird als ganz normales Wohnhaus genutzt, und so befindet sich am Eingang auch ein Schild mit der Bitte um Verständnis dafür, dass das Haus wegen der Wahrung der Privatsphäre von innen nicht zu besichtigen sei. Als ich beim Blick auf das Klingelschild entdecke, dass sich im Haus auch eine Praxis für Psychologie befindet, halte ich dies für keinen Zufall.


Prater

Der Weg zum Prater zieht sich. Auf dem Plan sah es so aus, als befinde sich das Riesenrad gleich um die Ecke vom Hundertwasserhaus, aber in Wirklichkeit muss ich recht lange durch eine unattraktive Gegend mit breiten, viel befahrenen Straßen laufen. Der Verkehrslärm geht mir nach einiger Zeit derart auf die Nerven, dass ich kurz davor bin, mein Vorhaben abzubrechen. Aber nachdem ich den Donaukanal überquert habe, bleibt plötzlich neben mir eine Straßenbahn mit dem Ziel „Praterstern“ stehen. Diese Einladung nehme ich an und steige eine Station später an dem wohl hässlichsten Platz Wiens wieder aus. Der Praterstern ist ein fußgängerfeindliches Gewimmel aus Autos und Straßenbahnen. Warum ausgerechnet dort alle nur möglichen Verkehrsmittel aus allen Himmelsrichtungen hinfahren, bleibt mir verborgen.

RiesenradVon weitem erblicke ich das Riesenrad. Ich will nicht mitfahren, ich will es einfach nur einmal gesehen haben. Nachdem ich eine schäbige Fußgängerunterführung benutzt habe, lande ich im eigentlichen Prater, also dem Park, in dem sich das Riesenrad befindet. Direkt am Fuß des Riesenrads erstreckt sich eine Art Rummelplatz, dessen Buden aber nicht geöffnet haben. Insgesamt werde ich von einer trüben Stimmung umhüllt: Das Wetter ist grau, die Bäume sind noch nicht grün, und am Fuße des Riesenrads drücken sich lediglich zwei bis drei Leute herum. Das Rad steht still. Romantik ist anders.

Aus Interesse gehe ich zur Kasse („Cassa“), um mich nach den Eintrittspreisen zu erkundigen: 8 Euro für Erwachsene. Als ich den Rückweg antreten will, sehe ich eine junge Frau, wie sie einer Kabine zuwinkt. Ich drehe mich um: Tatsächlich! Und es bewegt sich doch! Ich gehe zu der jungen Frau und sehe gemeinsam mit ihr hoch.

Wer ein Fachgespräch über Platz- oder Höhenangst führen möchte, braucht sich nur am Fuß eines Riesenrads aufzustellen und nach einzelnen Personen Ausschau zu halten, die hochwinken.

Sie: „Möchten Sie mitfahren? Ich habe hier noch eine Freikarte.“

Ich: „Das ist sehr nett, vielen Dank, aber ich habe nicht soviel Zeit! - Haben Sie Angst?“

Sie: „Ja! Mein Mann und meine Schwiegermutter sind drinnen (winkt abermals nach oben), aber ich trau‘ mich nicht!“

Es entwickelt sich ein sehr netter Erfahrungsaustausch über Platzangst. Nachdem ich ihr meine Strategien dargelegt habe, mittels derer ich in den letzten Jahren meiner Platzangst beigekommen bin, ist sie überzeugt, dass ich inzwischen zu den Fortgeschrittenen gehöre und einsteigen könnte, und bietet mir abermals ihre Karte an. Indes: Die Kabine ihrer Verwandten hat sich nur unmerklich nach oben bewegt. Wielange dauert so eine Umrundung? Einen halben Tag?

Ich bedanke mich noch mal freundlich, verweise jedoch auf meine nächste Führung, die ich nicht versäumen möchte: “Nieder mit dem Mieder - Wiener Mode in der K.u.k.-Monarchie”.

An einer Ampel am Praterstern spricht mich ein junger Mann an: “Entschuldigung?” Ich sehe ihn fragend an. “Ihr Schuhband ist offen!” Ich sehe an mir ‘runter - stimmt! Ich schnüre es zu, und als ich wieder hochkomme, lächele ich ihm noch mal nett zu. Er: “Nicht, dass Sie noch drüber stolpern!” Ich taste nach meinem Portemonnaie, alles noch da. Er war einfach nur freundlich. Sowas ist mir in Deutschland noch nie passiert. Die sprichwörtliche Wiener Grantigkeit lässt weiter auf sich warten.Michaeler Platz

Die Nieder-mit-dem-Mieder-Führung fällt aus! Die einzigen Beiden, die sich am Treffpunkt - dem Michaeler Platz - einfinden, sind - überraschenderweise - die Stadtführerin von gestern und ich. Als ich sie frage, was denn der Inhalt der Führung gewesen wäre, erzählt sie derart interessant, dass ich inständig hoffe, dass sich doch noch zwei Personen einfinden. Ist aber leider nicht der Fall.

Das Schnitzel

Okay, Wien ist groß und vielseitig, also beschließe ich kurzerhand … Mooooment! Ich habe ja den ganzen Tag noch nichts gegessen! Und ein echtes Wiener Schnitzel wollte ich mir auf jeden Fall noch gönnen. Nun ist das mit dem Wiener Schnitzel ja so eine Sache. Kurz vor Antritt meiner Reise erfuhr ich noch, dass es selbst in Wien sehr schwierig sei, ein echtes Wiener Schnitzel (aus Kalbfleisch und in der Pfanne gebraten, *nicht* in der Friteuse!) zu finden. In Wien sind viele “Wiener Schnitzel” vom Schwein.

FiglmüllerSelbst der berühmte Figlmüller tut sich auf seiner Homepage schwer, wenn es darum geht, die Herkunft seiner Schnitzel zu beschreiben: “Wiener Schnitzel gibt’s bekanntlich viele, in allen Formen, Farben und Größen, vom Kalb, vom Schwein oder vom Huhn, mit Pommes Frittes, oder Erdäpfel, oft auch verzehrt mit Ketchup und so weiter. Jedes Lokal hat seine Stärken und so ist das Schnitzel wohl die Stärke bei Figlmüllers.“ Und das Schnitzel ist dann ja wohl vom Schwein. Viel Aufhebens wird auf seiner Seite dann aber vom Braten in der Pfanne gemacht.

Gestern aber bin ich am Hohen Markt, knapp jenseits der Stephansdom-Touristen-Meile, an einem sehr hellen und freundlichen Lokal (unter südamerikanischer Führung und auch sonst sehr weit weg von der herkömmlichen Wiener Gemütlichkeit) vorbeigekommen, das mit echtem Wiener Kalbsschnitzel wirbt. Das ist nicht weit weg, daher gehe ich hin und bestelle. Nach wenigen Minuten höre ich ein verdächtiges, lautes Zischen. Ich drehe mich um - und sehe den Koch, wie er an der Friteuse steht ... Man kann eben nicht alles haben. Und die südamerikanische Musik ist toll!


Karlsplatz

Als ich an der U-Bahn-Station Karlsplatz aussteige, wird meine Toleranz auf eine harte Probe gestellt. Denn mit einem Schnitzel im Bauch ist ein Markt für mich noch weniger zu ertragen als hungrig. Und überhaupt: zwei Märkte an einem Tag … Denn auch am Karlsplatz befindet sich ein Markt - und dazu noch ein sehr berühmter: Der Naschmarkt. Wer Märkte mag, wird hier sicher seine helle Freude haben. Er ist riesig! Ich gehe auch pflichtbewusst ein paar Meter zwischen den Buden hindurch und bin auch einigermaßen fasziniert von den vielen Kräutern, Gewürzen und Körnern, die in großen Säcken präsentiert werden … Allein, ich wüsste nichts damit anzufangen.

Ich bin hier wegen der Architektur! Und ich werde nicht enttäuscht.

Jugendstilpavillon am Karlsplatz von Otto Wagner Karlskriche Secession

Schon die von Otto Wagner errichteten Jugendstilpavillons an der U-Bahn-Station entschädigen mich. Die Karlskirche ist der bedeutendste barocke Sakralbau Wiens. Die Metallkuppel des Ausstellungsgebäudes der Wiener Secession besteht aus 3000 vergoldeten Lorbeerblättern.

Ich lasse den Naschmarkt links liegen und widme mich den herrliche Bürgerhäusern entlang der Linken Wienzeile. Hier reiht sich ein Jugendstilgebäude an das nächste, darunter das von Otto Wagner gestaltete Majolikahaus (Mitte). 

 Jugendstilgebäude am Naschmarkt Jugendstilgebäude am Naschmarkt Jugendstilgebäude am Naschmarkt


Carmen

Festlich gekleidet finde ich mich am Abend im Foyer der Wiener Volksoper ein. Es wird Carmen gegeben. Das Programm der Staatsoper (Turandot) hat mich nicht interessiert, deshalb bin ich jetzt hier. Die Volksoper ist ein recht kleines, gemütliches Theater. Und ich habe einen sehr guten Platz mit guter Sicht.

VolksoperAls die Oper beginnt, beginnt auch das Rascheln. Ich habe es wohl nicht mitbekommen, aber alle anderen Gäste haben wohl gemeinsam mit der Eintrittskarte einen Bonbon ausgehändigt bekommen, den sie jetzt alle zur gleichen Zeit auswickeln. Oder zwei? Oder drei? Das Rascheln hört nicht auf. Vorne singt Carmen, gekleidet in einen modernen Hosenanzug. Von der Tabakfabrik ist nichts zu erkennen, im Hintergrund nur eine lieblos gestaltete Wand. Die Akustik ist sehr schlecht, ich höre Orchester und Gesang wie durch Watte gefiltert. Die Leute um mich herum knistern weiter, als wären wir im Cinemaxx. Ist der Begriff “Volks”-Oper wirklich so wörtlich zu verstehen? Das war mir nicht klar.

Als Carmen und ihr Stierkämpfer auch noch mehrere Passagen sprechen (auf Österreichisch!) statt zu singen, die Opernsänger sogar einiges erklärend vorlesen, ist für mich der Zeitpunkt gekommen, zu gehen. So eine lieblose Operndarbietung habe ich in meinem Leben noch nicht gesehen, und das in Wien!! Später werde ich erfahren: Die Volksoper gehört zu den führenden Operettenbühnen. Aber dann bitte keine Oper als Operette aufführen ...!

Im Hotel werde ich jedoch sofort entschädigt: Im Fernsehen läuft eine hervorragende Dokumentation über Herbert von Karajan, der in diesen Tagen 100 Jahre alt geworden wäre, mit dem Titel: “Schönheit, wie ich sie sehe!” Faszinierender Typ, tolle Musikeinspielungen.

Abreise

Am Abreisetag bekomme ich noch einmal so richtig Probleme mit der österreichischen Sprache: Man kann bereits in einer Privatbahnstation (CAT) in der Innenstadt seinen Koffer abgeben und für den Flughafen einchecken. Die Dame am Schalter sagt mehrmals "11 Euro 50" und zeigt mir die Zahl auch auf der Boardkarte. Und sie guckt mir dabei intensiv in die Augen. Ich verstehe aber dennoch nicht, was sie will. Sie zeigt noch einmal mit dem Stift auf den Betrag und sagt wieder etwas. Hm. Soll ich bei ihr die Fahrt zum Flughafen bezahlen? Die kostet aber nur 9 Euro. Ob die 2,50 für den bequemen Boarding-Service in der Innenstadt sind? Wahrscheinlich. Ich zücke mein Portemonnaie und will zahlen. Sie macht eine abwehrende Handbewegung, ihr Kollege am Nachbarschalter lacht und schüttelt amüsiert den Kopf. Dann sagt sie es noch einmal ganz  langsam: "Boarding ist um 11 UHR 50."

D. hat mir im Kaffeehaus erzählt, dass sie gerade ein Buch lese, in dem es heiße: “Österreich ist ein Land in Form eines Schnitzels, das den Weg von Deutschland nach Italien versperrt.” Ich bin froh, dass es dieses Schnitzel gibt, denn die Zitronenscheibe darauf - Wien - führe ich mir immer wieder gern einmal zu Gemüte.

 

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